In Abwesenheit
Übersetzt von Johannes Schmid
Buchzusammenfassung
"In Abwesenheit" ist eine faszinierende Kurzgeschichtensammlung von Laura Diaz de Arce, die gruselige Naturgeister, eine liebevolle Riesenkrake, griechische Dramen in der U-Bahn, eine liebende Werziege, einen Museumsbesuch in der Hölle und mehr enthüllt. Inmitten der vielfältigen Genres und Stimmen, die dieses elektrisierende Werk vereint, steht das gemeinsame Thema der Trauer. Ob in der Geschichte über das MONSTROSITY oder in den anderen Erzählungen, sie berühren das Herz und schicken gleichzeitig Schauer über den Rücken.
Auszug aus In Abwesenheit
Mein Kopf schlug auf das Kissen und ich dachte, ich würde bald schon einschlafen. So war es nämlich in den anderen Nächten, nach einem anstrengenden Tag, gewesen. Meine Augen waren geschlossen, mein Atem flach, aber Minute für Minute, Stunde für Stunde, konnte ich nicht einschlafen. Ich warf mich aufs Bett. Ich wand mich. Viele verschiedene Positionen probierte ich aus. Die Stunden vergingen langsam. Ich konnte nicht schlafen.
In letzter Zeit hatte sich bei mir vieles verändert. Der Druck in meinem Bauch ließ nach, denn ein Einbruch blieb aus, sodass ich mich hinlegen konnte und der Schlaf mein Trost wurde. In ein paar Tagen war mein Leben, das zuvor noch aus kurzzeitigen Möglichkeiten und ständiger Gesellschaft bestanden hatte, ruhig und einsam geworden. Diese Art von Verlust, worüber man nicht nachdenken möchte, wurde zu einem Muster in meinem Leben. Sie wurde zu meiner zweiten Natur und verbrannte meine Erinnerungen zu einem Häufchen, das fortgeweht wurde. Dabei half mir der Schlaf. Eigentlich wäre es leicht gewesen, meine Augen zu schließen und alles zu vergessen. Stattdessen konnte ich die ganze Nacht nicht einschlafen.
Am Tag nach der ersten schlaflosen Nacht versuchte ich freundlich zu bleiben. Das war nicht immer erfolgreich und ich zeigte mein Unbehagen. In der zweiten Nacht legte ich mich wieder hin, konnte noch immer nicht schlafen und bekam Angst. Als die dritte Nacht kam, stieg Wut in mir auf. Diese Wut entlud sich nicht; sie setzte die Energie in mir nicht frei. Stattdessen staute sie sich an, als wäre ich in Rage, sodass ich am ganzen Körper zitterte und mich nicht entspannen konnte.
Nachts um zehn war ich im Delirium. Tag und Nacht hatten eine Bedeutung. Ich verlor keine Zeit, sondern schlenderte ziellos in meinem Haus umher. Regelmäßige Mahlzeiten nahm ich nicht zu mir, sondern aß, was im Kühlschrank und in Reichweite war. Die Zeit verging, ich spürte aber nichts davon. Ich war wie erstarrt und meine Handlungen glichen denen in einem verzögerten Video. Ich war hier. Dann wieder dort. Es gab keine Überleitung, keinen Übergang, nur das, was es einmal gegeben hatte, war da.
Als die Uhr Mitternacht schlug, schlief ich noch immer nicht. Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel, hatte Tränensäcke unter den Augen und meine Schultern waren schlaff. Mein Körper war mir fremd geworden und verhielt sich nicht mehr so, wie er es hätte sollen. Ich hatte Schmerzen, die ich nicht ignorieren konnte. Mir gegenüber sah ich einen Sprung im Spiegel und ich fuhr mit der Fingerkuppe über den zackigen Rand. Ein Blutstropfen lief den Spiegel hinunter. Ich tippte das Glas an und es zersprang nach und nach. Auch mein Gemütszustand wurde nach und nach schlechter. Mein Spiegelbild verwandelte sich in tausende kleine Scherben.
Hinter der Scheibe war keine Wand. Stattdessen gab es eine lange, verästelte Landschaft. Diese war grau, sowohl der Pfad als auch das Gras daneben. Auch der Himmel war grau, bedeckt von gräulichen und pechschwarzen Wolken. Ich kletterte über mein Waschbecken und trat mit blutenden Füßen auf den Kies. Ich hatte mich offenbar bewegt, denn kaum hatte ich mich umgedreht, war mein Badezimmer nicht mehr da.
Während ich immer weiter den Pfad entlang ging, fiel mir noch mehr Seltsames auf. Es gab Pflanzen, die ineinandergeschlungen waren. Verschlungene Bäume und verzwirbelte Büsche übersäten die Landschaft außerhalb des Pfads. Es gab keine Tiere, zumindest keine, die man sehen konnte. Nur hören konnte man sie. Wie aus dem nichts ertönten seltsame Schreie gleich denen von Vögeln. Dann hörte ich Flügelschläge oder das Summen von Insekten, aber weder das eine, noch das andere konnte ich sehen. Es war, als würde in der Landschaft eine Begleitmusik gespielt. Ein Abdruck dessen, was einst dort gewesen war, jetzt aber nicht mehr.
Dann kam ich zum Garten der Hände.
Die wuchsen paarweise an Handflächen und unterschieden sich in Form, Alter und Farbe. Vorne stand auf einem Schild:
NIMM PLATZ
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LASS EINEN PLATZ FREI
Daneben stand ein schöner Holztisch, auf diesem ein karierter Metzgerblock in dem ein großes Hackbeil steckte.
Meine Hände waren noch nie meine Freunde gewesen. Sie waren ungeschickt, klein und taten immer weh. Viele schöne Finger, in allerlei Farben und Formen, trieben aus den Handflächen. Es gab Handflächen, die den meinen sehr ähnlich waren, die aber stellenweise muskulöser waren, mit längeren, eleganteren Fingern. Sie hatten nicht die Narben, mit denen meine übersät waren.
Man konnte beide leicht aus dem Strunk ziehen, abziehen brauchte man nichts. Ich legte sie wieder auf den Tisch, die Hände daneben. Die rechte bewegte sich zum Messer und die linke deutete auf mich, ich solle meine Hände auf den Tisch legen. Mit zwei schnellen Schnitten waren meine echten Hände abgetrennt. Meine einstigen Hände wanderten vom Tisch und in die Handflächen und waren nicht mehr zu sehen.
Diese neuen Hände hatten junge Finger, die bereit waren, die Welt um sie herum zu berühren. Sie zogen mich nach unten, dann wanderten sie über das weiche Gras. Wir gingen zu ein paar Bäumen am Weg, ich und meine neuen Hände. Sie strichen über die raue, verknotete und zersplitterte Rinde. Sie zogen die wachsartigen Blätter beiseite und die Finger wanderten in die Maserung.
Ich hörte ein äußerst vertrautes Geräusch, das ich aber nicht richtig einordnen konnte. Es war ein lautes und quengelndes Miauen eines alten Katers. Er kam näher und ich sah sein Antlitz mit den schiefen Zähnen und Zahnlücken. Direkt vor mir hielt er an und setzte sich auf die Hinterbeine. Meine Händen tätschelten ihn und schließlich sprang er auf meine Handgelenke, als der Kater sich umdrehte und uns bat, ihm zu folgen. Die abgetrennten Hände stellten sich auf die Stümpfe meiner Handgelenke und wir nahmen die Einladung des Katers an.
Der Kater führte uns zu einem Orangenbaum. Fast alle seine Blätter waren verwelkt, die Früchte verkümmert und schrumplig. Ich pflückte ein paar Orangen vom Ast und zupfte die Schale ab, dann teilte ich sie in kleine, saure Schnitze. Die Orangen schmeckten bitter, aber bei jedem Bissen erinnerte ich mich allmählich an einen Traum von früher.
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